Ich wurde gebeten, ein paar Worte zu den Straßen unserer Inselstädtchen zu schreiben. Diese haben nämlich keine Namen, nur Nummern. Witzige Sache, wenn man überlegt. Viele Fremde, die hierher kommen, fragen nach einer Adresse, Straßennamen, irgendetwas... und wir sind immer verwirrt. Unsere Straßen haben keinen Namen. Und ja, das ist kompliziert.
Ich habe nie ernsthaft darüber nachgedacht und ich hätte dem auch nie eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt, wenn mich nicht jemand nach dem Weg zu einem bestimmten Ort gefragt hätte. Ich bin mir dessen bewusst, dass es für normale Leute aus normalen Städten eine ganz normale Sache ist. Nun, wir sind aber nicht normal. Das versuche ich immer zu erklären. Wir sind Insulaner ...
Ich möchte eine Bemerkung zur schlechten Seite der namenlosen Straßen hinzufügen. Die Geschichte, die sofort auftaucht, sobald man die Straßen ohne Namen erwähnt. Es geht um eine irische Stadt, die durch Straßennamen getrennt wurde, die Unterschiede in Religion und Wohlstand erzählten. Eine schreckliche Sache, vielleicht auch eine der schlimmsten. Wir haben ebenso eine Kriegsgeschichte, die durch Intoleranz befeuert wurde. Und ja, wir wissen, wie gefährlich es ist, zu trennen, zu hassen, zu unterscheiden. Auch unsere Straßen erzählen eine Geschichte, aber zum Glück geht es darin nicht um Konflikte, Hass und Unterschiede. Die Geschichte unserer Straßen erzählt von Menschen, die ihre Höfe mit Familie und Nachbarn teilen. Unsere Straßen haben Passagen und Stufen, Gewölbe und überhängende Balkone, die meisten mit zum Trocknen aufgehangener Wäsche während die Wände Rosenbüsche tragen und mit Kapernsträuchen als fantastisches Naturdesign. Unsere Straßen sind mit rutschigen Steinen gepflastert, abgetreten von Eseln und Maultieren, die die Lasten unserer Großväter trugen. Unsere Straßen haben keine Namen, aber so viele Geschichten über Freude, Trauer, Geburten und Tode, vom Weggehen und Wiederkehren, Geschichten die untereinander geteilt werden... oft mit Familien, die über den ganzen Globus verstreut sind. Ich würde sagen, genauso wie die Iren.
Unsere Straßen werden von Familien geteilt, so dass die eine Straßenseite Besitzer mit einem Familiennamen hat, die andere Seite einen anderen. So war es jahrelang und so ist es bis heute oft noch.
Wenn Sie mich fragen, wo eine Person mit einem bestimmten Nachnamen wohnt, dann würde ich es vermutlich wissen. Wenn Sie mich nach einem Straßennamen oder einer Adresse fragen würden, wäre ich eher verwirrt. Es ist wie es ist, verwirrend, unerklärlich, aber... es ist wie es ist.
Sie sind auf einer Insel, die Straßen haben keine Namen und ich glaube, irgendwo, irgendwie, gibt es dafür einen guten Grund. Unsere namelosen Straßen erzählen die Geschichte von Zusammenkunft, Teilen und Verständnis. Ist dies nicht Grund genug, ein Lied darüber zu schreiben!?
Posted by Davor